life-saving-systems
autofahren macht spaß, macht unabhängig
und mobil, bietet hohen komfort und modernes lebensgefühl,
gibt geborgenheit und sicherheit für die ganze
familie. so jedenfalls versprechen es uns die texte
und bilder der werbung. eine andere sprache sprechen
dagegen die statistiken der tödlichen unfälle
und die täglichen bilder der zerstörung und
des todes in den nachrichten, die das andere gesicht
der technik zeigen. seit einigen jahren kann die automobilindustrie
jedoch mit einer verbesserten garantie für sicherheit
und lebensschutz aufwarten, nämlich mit den airbags,
die selbst bei schweren unfällen das leben noch
einmal schützen und retten können. dieser
wesentlich aus dem unsichtbaren heraus agierenden technik,
die schon dafür sorgen wird, dass man heil davonkommt,
will man sein vertrauen und seinen uneingeschränkten
glauben schenken. airbags fungieren daher allein schon
in ihrer visuellen präsenz als sinnbilder für
einen weltlichen wie zugleich auch übergeordneten
schutz.
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über 100 zu kissen umfunktionierte originale
airbags, die frei um und über einem bettähnlichen,
mit samt bezogenen podest gelegt sind, bilden das grundelement
der arbeit »life-saving-systems« von margarete
rebmann. die untersuchung und visualisierung sichtbarer
und unsichtbarer systeme ist von beginn an der thematische
schwerpunkt ihrer arbeit. in den letzten jahren stehen
vor allem immaterielle bewegungen, chaosbedingte turbulente
prozesse und geistige energien im zentrum der künstlerischen
auseinandersetzung. es entstanden großflächige
plastische zeichnungen (»transitorische linien«, »herzklopfen«, »autogramme
des schlafs«, »todsicher«, »gedankenblitze« )
und als zentrales werk hierzu 1997 »life-saving-systems.
himmelsbett«. ^
als
ein installatives werk kann diese arbeit je nach den örtlichen und räumlichen vorgaben in
verschiedener gestalt gezeigt werden. auf jedem dieser
vorgefundenen ready-mades aus der alltagswelt der waren
findet sich überdies eine entscheidende künstlerische
ergänzung: aufgedruckte votivbilder und amulette
einer entsprechend großen zahl von schutzheiligen
oder schlicht nur der namen des patrons oder des heiligen
mit kurzer benennung seiner oder ihrer funktion. der
beigefügte text geht mit den deutlich sichtbaren
strichcodes der warenbezeichnung mehr als eine formale
bindung ein.
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die funktionen einer außerirdischen rettungsinstanz
werden hier mit den codes des weltlichen ökonomischen
systems verknüpft.
die installation versammelt also eine fast unüberschaubare und lebendige
vielfalt von heiligen des katholischen volksglaubens, der jeder stadt und jedem
berufsstand, gegen jede krankheit, mühsal, not und gegen jede naturgewalt
einen entsprechenden schutz verspricht.
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den status des heiligen haben oft solche menschen
erlangt, die bereit waren, für christus den opfertod
zu sterben und daher in den himmel aufgenommen wurden,
um von dort aus den menschen erlösung und sicherheit
bieten zu können. als himmlisches unterpfand,
dessen besitz die schutzspendende kraft garantiert,
hinterließen sie auf erden ihre bilder, die man
anbeten kann, um dadurch hilfe aus dem transzendenten
und unsichtbaren reich gottes zu erbitten. diese volkstümliche
form der idolatrie, die zu diversen bilderstreitigkeiten,
bilderdekreten und gar zu kirchenspaltungen führte,
war nie ganz mit der christlichen theologie zu vereinen:
das, was man in gestalt eines bildes anbetet, ist schließlich
nur ein materielles artefakt und nicht die himmlische
person selbst, die nur repräsentiert wird. doch
dieses menschliche grundbedürfnis nach einem transzendenten »life-saving-systems« und
nach unsichtbaren schutz, der dennoch einer beglaubigung
bedarf, konnte allein auf intellektueller und rationaler
ebene nie gestillt werden.
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diese animistische form volkstümlicher heiligenverehrung
wird in margarete rebmanns arbeit mit subtiler ironie
auf die weltlichen heilsversprechen der modernen technologie
der airbags bezogen, deren eigentliche schutzbietende
existenz ebenso im unsichtbaren verweilt wie die transzendenten
körper der heiligen. eine traditionelle form des
glaubens erscheint so in einem neuen gewand, dessen
technische und zweckrationale gestalt darüber
hinwegtäuschen mag, dass es sich hier vielleicht
nur um eine graduelle differenz handelt.
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beide »life-saving-systems« entsprechen
einem anthropologischen bedürfnis nach sinn stiftendem
schutz und übergeordneter sicherheit, die sich
weniger rational begreifen lässt, sondern an die
man vielmehr glauben muss. rebmanns »life-saving-systems« veranschaulicht
so in origineller wie poetischer weise das geschichtsübergreifende
menschliche bedürfnis nach einem allmächtigen
schutz, der das sichtbare mit dem unsichtbaren, die
immanenz mit der transzendenz und mithin das leben
mit dem tod vereint. der untertitel »himmelsbett« der
arbeit, die dieser bezeichnung gestalterisch alle ehre
macht, steht daher auch als metapher für die illusion,
immer dort himmlisch gebettet und am leben erhalten
zu werden, wo der tod allenthalben lauert; der tod
als das große unbekannte des lebens, dem man
immer einen sinn zu geben versucht.
martin schulz |